Der Bremer Jet, das einzige Deutsche Kurzstrecken-Verkehrsflugzeug, entwickelt und gebaut in Bremen, wird niemals mehr fliegen. Am 7. Dezember 2012 führte die letzte flugfähige Maschine vom Braunschweiger Flughafen aus ihren letzten Flug durch. Das Ziel: Deutsches Museum, Flugwerft Schleißheim bei München. Eine Ära des erfolgreichen Flugzeugbaus aus bremischer Produktion geht zu Ende. Somit sind alle sechs noch erhaltenen Flugzeuge dieses Musters für immer am Boden. Sie werden für Ausbildung oder als Museumsflugzeug verwendet.
Das Deutsche Museum erhält das DLR-Forschungsflugzeug „ATTAS“ Advanced Technologies Testing Aircraft System VFW 614, Serien-Nr. G17, als Geschenk für seine umfangreiche Luftfahrtsammlung. Seit 2007 hatte sich das Museum um die Aufnahme des Flugversuchsträgers in seine Sammlung bemüht und schließlich den Zuschlag des DLR erhalten. Ein Gesuch unseres Freundeskreises VFW 614, die Maschine in den Ruhestand nach Bremen zu holen, wurde leider vom DLR-Vorstand abgelehnt.
Die letzten Flüge der ATTAS in Braunschweig endeten in 2011 nach erfolgreichen 27 Jahren in der Luftfahrtforschung. Die Ersatzteilversorgung für das Flugzeug, das bereits 1978 bei VFW-Fokker seinen Erstflug machte, war nicht mehr gewährleistet. Ein Defekt im Stator der Turbine eines Triebwerkes zwang die Verantwortlichen in der Forschungsflugabteilung Braunschweig, die Maschine stillzulegen. Ein Ferryflug zum Deutschen Museum war wegen des Triebwerkschadens unwahrscheinlich. Ein anderweitiger Transport per Land oder Helikopter erschien aussichtslos. Aber es kam doch noch anders. Weitere Untersuchungen ergaben, dass man einen letzten Flug wagen kann – mit Sonderfreigabe des Luftfahrtbundesamtes LBA, wo man dieser Aufgabe sehr kooperativ gegenüberstand. Allerdings gab es nun das weitere Problem, dass die Typenberechtigung in der Lizenz der einzigen beiden DLR-Piloten zwischenzeitlich abgelaufen war. Auch hier fand das LBA eine schnelle Lösung. Seit Monaten plante das DLR gemeinsam mit dem Deutschen Museum den letzten Flug und insbesondere die Landung sehr detailliert. Die Landebahn 08 / 26 am Sonderlandeplatz Oberschleißheim ist mit 808 Metern plus einer 200m Schotterverlängerung nicht gerade lang für ein Düsenflugzeug. Das Flugzeuggrundgewicht musste durch Ausbau von Kabinenausrüstung, speziell die Rechner für das elektronische Flugsteuerungssystem, um 900 kg leichter gemacht werden. Nachdem im Juni 2012 eine offizielle Feier zur Außerdienststellung der ATTAS in Braunschweig stattfand, entschloss man sich kurzfristig und ohne Medienteilnahme die Maschine noch vor Weihnachten zu überführen.
Das Wetter passte am 7. Dezember und so startete die Besatzung mit Testpilot Hans-Jürgen Berns und Copilot Stefan Seydel um 12:40 Uhr vom Forschungsflughafen Braunschweig (EDVE). „Um das Triebwerk zu schonen, starteten wir mit reduzierter Leistung“, so Pilot Berns. Der IFR-Flug in Flugfläche 210 ( 7300m Höhe ) dauerte 1:05 Std. Von Westen kommend, über Funkfeuer VOR Maisach, begann der Anflug auf die Piste 08 von Oberschleißheim (EDNX). Die letzte Landung einer VFW 614 fand um 13:45 Uhr Ortszeit statt. Nach 600m Landerollstrecke kam die D-ADAM zum Stehen. „Ich wusste, dass die Maschine es kann, wir wären auch nach 400m zum Stillstand gekommen“. Im Anflug haben wir uns ganz auf den Moment konzentriert“, sagte Testpilot Hans-Jürgen Berns „Mit zwanzig Jahren ATTAS-Erfahrung war auch das zu meistern.“
Eine leichte Schneedecke lag auf dem Flugfeld und ein winziger Follow-Me Car lotste die Maschine nach einer Wende auf der Piste vor die Flugwerft des Museums. Feuerwehren des Flughafen München und der Gemeinden Ober- und Unterschleißheim, die benachbarte Bundespolizei, der Flugplatz Oberschleißheim und viele ehrenamtliche Helfer vor Ort haben diese Aktion ermöglicht. Unser Vereinsmitglied und früherer Programmleiter Rolf Stüssel war vor Ort und überzeugte sich persönlich von der gelungenen Überführung. „Es war ein bewegendes Ereignis, diese letzte Landung des Flugzeuges zu beobachten“ berichtete er.
ATTAS wird nach ersten Vorbereitungen zunächst in der gläsernen Werkstatt der Flugwerft für Besucher zu sehen sein. Erfahrene Restauratoren präparieren das Forschungsflugzeug dort etwa ein Jahr lang für die spätere Ausstellung in der neuen Flugzeughalle.
ATTAS ist die am längsten im Flugeinsatz gebliebene VFW 614. Sie machte 1978 ihren Erstflug in Lemwerder bei Bremen. 1985 kam sie umgerüstet als Versuchsträger zur damaligen DFVLR, dem heutigen DLR. Mittlerweile ist ATTAS zu einem technischen Denkmal gereift. Die VFW 614 erhielt als Linienflugzeug, als sie in den siebziger Jahren gebaut wurde, noch eine rein mechanische Steuerung. Im Zuge des Umbaus zum Flugversuchsträger ergänzten DFVLR-Ingenieure zusammen mit dem Hersteller MBB eine elektrohydraulische Fly-by-Wire-Steuerung, mit der die Klappen und weitere Steuerflächen direkt vom Rechner angesteuert werden. Die ATTAS-Testpiloten konnten im Flug allerdings jederzeit auf die mechanische Steuerung zurückschalten – eine Besonderheit des betagten Forschungsfliegers. Hinzu kam beim Umbau eine Messanlage mit einigen 100 Sensoren, die ATTAS mit ins Museum nimmt.
In seiner 27-jährigen Dienstzeit hat der Flugversuchsträger Wirbelschleppen sowie lärmarme Landeanflüge untersucht, war als fliegender Simulator im Einsatz und hat Flugführungstechnologien erprobt. Vergleichsweise klein sind die Betriebszeiten dieser VFW 614 – sie erreichte bis zur Landung im Museum 3003:30 Flugstunden mit 3427 Landungen – ein gepflegtes Schmuckstück. „ATTAS kommt als vollständiger Flugversuchsträger in das Deutsche Museum“, sagt DLR-Flugversuchsingenieur Michael Press. Es mischt sich Wehmut in die Stimmen des langjährigen ATTAS-Teams: „Man verspürt Heimweh nach dem Flugzeug“, beschreibt der Testpilot Hans-Jürgen Berns sein Abschiedsgefühl. Michael Press vermisst schon jetzt ein „einmaliges Flugzeug und ein tolles Versuchsgerät“. Und der Testpilot der ersten Stunde, Dietmar Sengespeik von VFW-Fokker / MBB denkt mit „Freude und etwas Wehmut“ an die vielen Erlebnisse mit der VFW 614 ATTAS. Jochen Kruth vom Freundeskreis VFW 614 ergänzt: „Wir als ehemalige Entwickler und Flugzeugbauer dieses Flugzeuges sind froh, dass die letzte flugfähige VFW 614 einen würdigen Platz gefunden hat und künftig der Öffentlichkeit als Museums-Flugzeug zugänglich ist“.
Foto- und Textauszüge mit freundlicher Genehmigung von: DLR, Deutsches Museum und Luftfahrt Club Braunschweig